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Politologe Peter Filzmaier über Politik zwischen Systembruch und Parallelwelten

21. November 2016

Der Wunsch nach mehr Nationalstolz, der Frust gegenüber den amtierenden PolitikerInnen sowie die wachsende Unzufriedenheit mit den sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kennzeichnen die aktuelle politische Landschaft. Zurück von der Wahlbeobachtung in den USA lieferte Politexperte Univ.-Prof. Dr. Peter Filzmaier im Rahmen unseres Business Breakfast Einblicke in die aktuellen politischen Entwicklungen – in den USA sowie in Österreich.

„Die bestehenden Wahlsysteme führen sich auf eine weit zurückliegende Historie zurück, die nicht mehr dem Zeitgeist entspricht. Dabei müssen auch Parteien ihre Strukturen überdenken und die Macht der neuen Medien berücksichtigen“, so Filzmaier. Am Beispiel des US-Wahlkampfes identifizierte er drei Phänomene, die sich auch auf Europa übertragen lassen und zu jenem überraschenden Wahlergebnis der letzten Wochen geführt haben: die enorm große Gruppe der subjektiv wirtschaftlich und sozial Enttäuschten, die wachsende Sehnsucht nach Nationalstolz sowie Frust und Misstrauen gegenüber dem politischen Establishment. „Diese Phänomene zeigen sich auch in Österreich und entstehen durch die wachsende Distanz zwischen dem Volk und seinen Vertretern. Mit einem Claim wie ‚Make America great again‘ konnte Trump viele Wähler abholen“, erläuterte Filzmaier. Die Folgen dieser Wahl seien noch ungewiss – eines sei jedenfalls sicher: „Historisch hat sich eine gewisse Abhängigkeit von Europa zur USA entwickelt. Jetzt ist für Europa Zeit, erwachsen zu werden und seine US-Orientierung abzulegen.“

Strukturelle Änderungen sichern demokratische Überlebenschancen

Ebenso gewiss sei, dass es „so wie es gerade ist, nicht weitergehen wird. Die Mobilität der Gesellschaft macht die starren Modelle der Großparteien, vor allem in Österreich, obsolet. War man früher auf Lebzeiten bei einer Partei, geht man Mitgliedschaften bei Parteien wie Vereinen heute nur auf einen begrenzten Zeitraum ein. Daraus resultieren starke Schwankungen bei den Wahlergebnissen“, so Filzmaier weiters. Eine Lösungsmöglichkeit bestehe in der Gestaltung kleinerer Strukturen innerhalb der Organisationen sowie der Bildung loser Allianzen zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessensvertretern. Für eine grundlegende Wahlrechtsreform müsse jedoch der Leidensdruck beim Wähler noch steigen, um einen Systembruch zu erreichen. Trotzdem sollte ein System weg von Parteilisten hin zum Persönlichkeitswahlrecht diskutiert werden.

Paid vs. Earned Media

Der Politologe sprach auch die aus seiner Sicht schwache Medien- und Politikbildung in Österreich an. „Politiker müssen jetzt jahrzehntelange Versäumnisse in der politischen Bildung nachholen. Das beansprucht mindestens genauso viel Zeit, wie diese Versäumnisse angedauert haben.“ Dazu kämen die sich immer stärker entwickelnden homogenen Teilöffentlichkeiten. „Wir leben bedingt durch Social Media immer mehr in unserer eigenen Wirklichkeit, in der eigene Ansichten stetig verstärkt werden. Diese ‚Parallelwelt‘ ist ein bereits vieldiskutiertes Phänomen. Vernachlässigt wird dabei das aktuelle Potenzial klassischer Medien im Wahlkampf. Schließlich waren sie es, die Trump durch stetige Präsenz zum Sieger gemacht haben. Hatte Clinton bei ‚paid media‘ die Nase vorn, war Trump bei ‚earned media‘ der Sieger“, so Filzmaier. Gleichzeitig gewinnen soziale Netzwerke weiter an Bedeutung: „Social Media schafft heute Wahlmobilisation und vor allem die jüngeren Generationen werden über diese Netzwerke ins Wahllokal bewegt.“

Der angeregten Diskussion im Anschluss folgten u.a. Sandra Kolleth (Xerox), Peter Hanke (Wien Holding), Ingrid Lawicka (Kapsch), Christoph Höhrhan (IV Wien), Brigitte Wolf (ORF Wien), Ernst Eichinger (BIG), Christian Klausegger (Binder Grösswang), Kurt Tojner (VISA).

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