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Österreichische Medientage 2016: Die Highlights

6. Oktober 2016

Die Österreichischen Medientage 2016 drehten sich am ersten Tag um die Fragen, wie sich digitaler Journalismus finanzieren kann (Paid Content vs. E-Commerce), wieso radikale Meinungen im Netz die gemäßigte Mehrheitsmeinung übertreffen (post-faktische Zeit) und ob regionale Printmedien noch am ehesten gegenüber den digitalen Riesen bestehen können (im Gegensatz zu überregionalen Tageszeitungen). Ergänzt wurden diese zum Teil sehr ideologisch geführten Diskussionen um eine düstere Typologie des modernen Menschen – der alles weiß, aber nichts versteht. Wir waren dabei und haben die wichtigsten Erkenntnisse in einer Nachlese zusammengefasst.

Hans-Jörg Manstein_Medientage 2016

Wir leben in einer fehlinformierten Schlagzeilengesellschaft“

Hans-Jörg Manstein, Verleger

Hans-Jörg Manstein beklagt – als klassischer Verleger mit einem nicht zu überschaubaren nostalgischen Blick auf die Vergangenheit – dass heute nicht mehr INFORMIERT, sondern nur mehr REAGIERT wird. Soziale Medien bestätigen nur die eigene Meinung und verunmöglichen so einen intelligenten Diskurs. Wer aber das Fremde nicht kennenlernt, für den wird Toleranz zum Fremdwort. Er weist aber auch auf die Mitverantwortung der Verleger hin: Sie hätten die Strukturkrise der klassischen Medien nicht erkannt, und viel zu spät – wenn überhaupt – auf die rasante  technologische Entwicklung reagiert. Die Gratismedien bezeichnet er als großes Übel, sie seien eine klare Fehlentwicklung, denn sie verzichten auf Faktenrecherche und suchen Schuldige, statt Lösungen. Ohne investigativen Journalismus gäbe es aber kein Verständnis der diffusen Welt, in der wir heute leben. Die sich daraus ergebende Fragmentierung führt in letzter Instanz zu dem Erstarken von Nationalismen, vor denen Manstein eindringlich warnt.

KEY NOTE: Freie Radikale – Internet, Marktplatz der Ideen und der neue Kampf um die Wahrheit

Miriam Meckel, CR des Wirtschaftsblattes: „Wir müssen mit der „post-faktischen Zeit“ leben lernen“

Meckel war das Highlight des Tages. Sie startet mit der Feststellung, dass das Internet nicht nur zum großen demokratischen Befreiungsschlag geführt hat. Sie erwähnt Tay, einen von Microsoft ins Leben gerufenen Chatbot, der beim Twittern mit jungen Menschen sozialisiert werden sollte. Innerhalb 24 Stunden twitterte Tay „Hitler hatte Recht, ich hasse die Juden“ und musste abgeschaltet werden. Tay hatte von den Menschen nichts Gutes gelernt.
Mit diesem Beispiel untermauert Meckel ihre Grundthese: Im freien, digitalen Meinungsmarkt nehmen radikalisierte Meinungen überhand, und zwar in einer unglaublich rasanten Geschwindigkeit und Dynamik. Digitale Algorithmen verstärken diesen Prozess, egal ob es um Kaufpräferenzen oder Meinungen geht. Masse wird im Internet dank Big Data immer bevorzugt.

Die theoretische Grundlage für den Marktplatz der Ideen lieferte John Stuart Mill: Er ging davon aus, dass Informationen und Meinungen im Wettbewerb stehen, und das Ergebnis davon die Wahrheit ist. Meckel stellt dieses Konzept in Frage. In der Praxis herrsche heute eine „Instant-Ideologie“, in der allmächtige Algorithmen Meinungen im Netz verstärken. Statt eines Meinungsmarkts entsteht ein Kampfplatz.

The Post-Truth-World: Emotionen statt Fakten

Die Trennung von Fakten und Meinungen ist passé, heute gelten die Post-Truth-Politics (© Economist). Konsens wird eher verhindert als verstärkt. Beispiele hierfür: unmoderierte Debatte Hofer / Van der Bellen; Statement Merkel: „Menschen interessieren sich nicht mehr für Fakten, sondern nur für Gefühle“; Petition nach BRexit der EU-Befürworter, bei dem 10.000e Stimmen aus Ländern wie Nordkorea und dem Vatikan kamen (und nicht „echt“ waren) – das hat nichts mit demokratischer Meinungsfindung mehr zu tun.
Vielmehr besagt schon die Bestätigungsthese (Confirmation Bias), dass Menschen ihre eigenen Positionen bestärken wollen. Dem Gegenargument wird ausgewichen beziehungsweise wird es als Verschwörungstheorie abgestempelt. Gerüchte werden gestreut, nicht entkräftet. Das führt zu einem kurzsichtigen Blick auf die Realität und ist tödlich für die Demokratie. Das Internet verstärkt den Confirmation Bias zusätzlich.

Soll nun die Politik – wie in der Marktwirtschaft – einschreiten und gegen die Verzerrung der Meinungen vorgehen, um eine soziale Meinungswirtschaft zu schaffen? Meckel verneint. Die Medien sind gefordert zu verstehen, wie die Mechanismen der industriellen Meinungsproduktion im Internet funktionieren. Sie lässt sich zusammenfassen in dem Schlagwort „Repräsentationslücke“ – die Mehrheitsmeinung unterliegt der Minderheitenmeinung.
Das ist nicht überraschend wenn klar ist, dass man sich Instagram-Follower um 99 Cent kaufen kann und Millionen digitaler Stimmen nicht echt sind, sondern Software-Konstrukte (sogenannte Bots). In Bogota (Kolumbien) sitzt Andrés Sepúlveda im Gefängnis, weil er unter anderem eine Armee aus 30.000 Twitter-Bots programmierte, die Diskussionen formen und Anwendern Meinungen liefern sollten, die sie dann nachsprechen konnten. Das verstößt zwar gegen Twitters Richtlinien, ist aber nicht illegal.

PANEL: Die Zukunft des Gedruckten?

Mathias Müller von Blumencron, FAZ Online Chef: „Meine Leidenschaft hängt nicht am Papier“
Müller findet, dass wir derzeit beste Zeiten für Journalismus haben, aber kein passendes Geschäftsmodell. Daher sollen Medien nicht an traditionelle Formen des Journalismus festhalten, sondern sich viel mehr auf die digitale Welt einlassen; die Zukunft nicht verdrängen, sondern umarmen. Er fordert eine Kultur des Experimentierens, wie Startups innerhalb der Verlage zu fördern. Der Kern des Journalismus muss aber weiterhin sein, beim Leser die Leidenschaft für die Wahrheit zu entfachen – nicht für E-Commerce, auch wenn dies höhere Renditen verspricht. Müller will demnächst bei der FAZ neben dem bereits eingeführten ePaper bezahlten Premium Content einführen, um eine weitere Einnahmequelle zu lukrieren. Angebote für die mobile Welt sollen folgen.

Hermann Petz, Moser Holding: „Regionale/lokale Medien versprechen weiterhin hohe Renditen“
Die hohen Renditen der Moser Holding sind bekannt. So scheint auch Hermann Petz recht gelassen, wenn es um die Zukunft des Gedruckten geht. Die hohe Dichte an regionalen Printprodukten in und um Tirol sichert den notwendigen Marktanteil, sie liefern Unique Content, den digitale Plattformen (die auf Masse aus sind) nicht bereitstellen. Er kann mit dem Klagelied mancher Verlage daher auch nicht viel anfangen, ganz nach dem Motto „uns geht’s eh gut“. Der digitale Anteil beträgt derzeit 10 Prozent, die Redaktionen sind integriert.
Thema ist auch, wie man gegen die Macht der Giganten (Google hat 40.000 Ingenieure) vorgehen soll. Ist Regionalität die Antwort? Die Moser Holding sagt ja und bietet ihrer regionalen Zielgruppe ein „Bündel“ an lokalen Vorteilen an, die sonst keiner vorweisen kann.

Oliver Eckert, BurdaForward: „Online-Medien werden sehr bald qualitativ hochwertigen Journalismus bieten“
Ganz anders der Vertreter von Burda Online. Er vergleicht das Gedruckte mit der Langspielplatte, seiner Meinung nach werden Printmedien ausschließlich im Nischenbereich überleben. Burda hätte sich selbst „disrupted“ und somit den Weg frei gemacht für neue, digitale Angebote – es gäbe nur mehr wenige Print-Titel, dafür umso mehr Online-Kanäle, die im zweistelligen Bereich wachsen, und sie investieren weiter. So wie Google der Search-Hub ist, will Burda zum News-Hub werden – und bald jene Qualität bieten, mit der sich derzeit die FAZ rühmt.
Eckert glaubt daran, dass guter Journalismus UND Geld verdienen mit digitalen Medien möglich ist. Print Produkte seien – was die journalistische Qualität angehe – zum Teil (noch) besser, aber digitale Medien holen auf (Huffington Post gewinnt Pulitzer Preis!) und befriedigen neue Bedürfnisse. „Denn auch das erste iPhone war nicht so gut wie das damalige Nokia.“
Von Paid Content hält er hingegen nichts – außer in Nischen wie Finanzen100. Seine Erlöse setzen sich aus 2/3 Advertising (2/3 Display, 1/3 Native) und 1/3 Transaktionen zusammen – Burda sieht sich zwar nicht als Händler, aber als Vertriebskanal und Sprungbrett für alle möglichen Transaktionen.

Eugen Ruß, GF Russmedia: „Es gibt keinen besseren Browser als die gedruckte Zeitung“
Bei Russmedia beträgt der Anteil des Gedruckten profitable 50 Prozent, deshalb wird auch in Zukunft daran festgehalten. Konsequenterweise fordert Ruß daher auch Innovationen im Gedruckten, nicht nur im Digitalen. Er merkt an, dass jeder, der den Kurier durchblättert, in 10 Minuten durch ist und sicher keine einzige Meldung übersieht, die ihn interessiert. Das kann keine digitale Plattform leisten.

Einwurf von Michael Grabner, dem Moderator: Deshalb lese er am liebsten ePaper – es biete eine gewisse „Gründlichkeit“ für jene, die nicht ständig online News checken wollen. Und: Die Tageszeitungen in Österreich erreichen gesamt 70% Reichweite, das schafft sonst niemand.
Bei Russmedia werden digital und gedruckt klar getrennt. Die Arbeitsweise sei zu verschieden und auch Studien hätten gezeigt, dass nur jene Einheiten, die separat starten, erfolgreich sind. Sein Ansatz: verschiedene Zielgruppen einzeln bedienen, nur zum Teil Synergien nützen. (FAZ-Online Chef sieht das übrigens anders: im Tagesgeschäft arbeiten beide Redaktionen zusammen).
Derzeit beschäftigen sich 340 Mitarbeiter, davon 100 Entwickler, nur mit den digitalen Angeboten von Russmedia. Ruß hält einiges von Paid Content, in Norwegen zahlen bereits 30% der Nutzer für journalistische Inhalte im Internet.

Gerald Grünberger, GF VÖZ: „Wir verzeichnen neue Mitglieder“
Als Vertreter der österreichischen Zeitungen macht Grünberger den Eindruck, als müsste er Print gegen Digital verteidigen. Er weist auf steigende Auflagen mancher Regionen dieser Welt sowie neue Mitglieder (=neue Titel) in Österreich. Er arbeite aber daran, das „Feld breiter zu sehen“.

PANEL: Woher kommt das Cash? Google als Vertriebskanal, österreichischer Schulterschluss und fehlende F&E

Eine fast ausschließlich österreichische Runde (APA/Pig, ORF/Prantner, RMA/Lassning, Krone/Riedler, OMV/Vetter und NZZ/Dengler) fragt sich, woher die Erlöse der Medienbranche derzeit und in Zukunft kommen sollen.

Bei der NZZ sind es die Leser (Käufer der Printprodukte), Anzeigen, diverse Geschäfte (haben soeben Musikfestival gekauft) sowie Informationsdienste. nzz.at entwickelt sich nur langsam. Dengler weist darauf hin, dass die Medienbranche die einzige ist, wo es keine nennenswerte Forschung & Entwicklung gibt, und daher viel zu wenig Innovation. Wenn andere Unternehmen online Geld verdienen – wieso nicht auch die Medienwirtschaft? Google & Co sehe er nicht als Feinde, sondern als Vertriebskanäle, die man optimal nutzen soll.

Die Mediaprint setzt auf ihre Abonnenten und Vertriebserlöse wie das Krone-Handy – und muss sich die Frage gefallen lassen, wieso ihre Leser mit solchen Angeboten geködert werden müssen, wo es doch um journalistische Inhalte gehen sollte.

Der ORF kann auf Gebühren zählen, die 2/3 seiner Finanzierung garantieren. Weitere 25% sichert Werbung, der Rest diverse Erlöse. Statt einer kleinkarierten (österreichischen) Diskussion fordert Prantner einen österreichischen Schulterschluss, um gegenüber internationalen Playern zu bestehen. So will der ORF schon 2017 mit seinen Bewegtbildern Erlöse lukrieren: 40.000 Videos sollen jährlich zur Verfügung gestellt werden.

Die RMA verweisen auf das erfolgreichste Jahr in ihrer Geschichte – und wollen nicht einstimmen ins Gejammere der (überregionalen) Printmedien. Das Cash komme zu 50% von lokalen Anzeigenkunden (Bezirksebene), 20% aus der Bundesländerebene sowie 30% von nationalen Kunden. Motto: Lokal wird immer funktionieren.

Die APA ist hingegen nicht von Anzeigen abhängig und will in Zukunft in Geschäftsmodelle investieren, die Erlöse für ihre schwächelnden Kunden (=die Verlage) generieren, wie Clippingservice o.Ä..

IMPULSREFERAT: Die Jugend und ihr neues Medienverhalten

Bernhard Heinzlmaier, T-Factory: „Der typische Mensch unserer Zeit ist schizoid und hysterisch“

Heinzlmaier mag provokante Thesen: Der moderne Mensch hat Panik vor dem Ich-Verlust, Selbstdarstellung geht ihm über alles, er will sich nicht festlegen oder binden. Wie behandelt man ihn also medial? Laut Heinzlmaier werden Medien zur reinen Plattform für die Selbstinszinierung, bei der das Aussehen über alles steht.
Getrieben wird der moderne Mensch vom Hunger nach Sensation und Spektakel, d.h. Erlebnisse, die ohne Reflexion stattfinden. Letzteres kann aber nur stattfinden, wenn Ruhe einkehrt – das passiert nie, denn Ruhelosigkeit ist ein weiteres Merkmal des modernen Menschen. „Der Flug der Minerva findet nicht statt, die Dämmerung senkt sich niemals herab.“

Ein Medium reicht nicht mehr: Deep Attention (Fokus auf ein Medium, hohe Monotonietoleranz) weicht zunehmend der Hyper Attention (Wahrnehmung switcht simultan, hoher Level der Stimulation).
Der Trend ginge zu einer außerordentlich beeinflussbaren und leichtgläubigen Masse, die in Bildern denkt. Daher gewinnt das SEHEN an Bedeutung. (Exkurs zu Adorno: Musik ist das Medium der Freiheit – im Gegensatz zu Bildern. Somit sei auch das Radio das subversivste Medium). Kommunikation findet zunehmend  in Bildern statt – siehe H.C. Straches Erklärung zum Asylnotstand: was zählt ist die Inszenierung.

Zum Abschluss zitiert er Oscar Wilde: In Angelegenheiten von großer Wichtigkeit ist der Stil, nicht die Aufrichtigkeit von entscheidender Bedeutung.

PANEL: Die Verkürzung der Wertschöpfungskette

Florian Haller, Serviceplan: „Smart Data nützen“

Zielgruppe waren Marketer. Im Wesentlichen ging es darum, dass die Marke früher viele Stationen/Kanäle durchlaufen musste, um die gewünschte Person zu erreichen. Heute kann man Menschen ohne Umwege erreichen, genau verfolgen und voraussehen, wie sie sich entscheiden werden. Daraus folgen 5 Herausforderungen für die Kommunikation:

  1. Vom POS zum Retail Theater: statt reiner Logistikfunktion entsteht ein Platz für „Inspiration und Beratung“ – es geht weniger um den Verkauf.
  2. Von Big Data zu Smart Data: Intelligenz aus Daten herausfiltern. Bsp: Online-Shop ABOUT YOU – jedem User wird eine eigene Oberfläche gebaut (dank Daten aus sozialen Netzwerken, Einkaufsverhalten etc…).
  3. Von der Marke zum Medium: Kampagne wird substituiert durch rund-um-die-Uhr Content Erstellung.
  4. Erweiterung des Angebotes: Das Produkt (zB AUTO) wird ergänzt durch ein Ecosystem an Services. Dazu gehört auch der Amazon Dash Button.
  5. Vom One-Night-Stand zu lebenslanger Beziehung: Nach dem Kauf geht der Mensch nicht verloren, man bleibt in einer – im besten Fall – lebenslanger Beziehung.

Weitere Infos zu den Österreichischen Medientagen finden Sie hier.