Corona versus Klima?
Alle sind sich einig: Die größte Wirtschaftskrise seit den 30er Jahren verlangt ein umfassendes Konjunkturpaket. Aber wie können wir den Aufschwung schaffen? Und darüber hinaus: Wie können wir gleichzeitig die Herausforderungen der Klimakrise stemmen? Green Recovery ist in aller Munde und die EU steht zu ihrem Green Deal. Gleichzeitig werden Stimmen lauter, die eine Aufweichung der Klimaziele fordern.
Konjunktur und Klimaschutz – geht das?
Im Rahmen eines virtuellen E&P Business Breakfasts haben wir mit zwei Top-ExpertInnen gesprochen, die das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven angehen: Prof. Martin Kocher, Direktor des IHS und einer der führenden Wirtschaftsforscher Österreichs, und DI Theresia Vogel, Geschäftsführerin des Klima- und Energiefonds und Spezialistin für Energieinnovation sowie Förderungen, um Unternehmen – insbesondere die Industrie – auf einen klimafreundlichen Pfad zu bringen.
Wie weit fortgeschritten ist die Wirtschaftskrise, die wir derzeit durchleben und welche Faktoren spielen hier mit hinein?
Martin Kocher: Tatsächlich durchleben wir die tiefgreifendste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg – und wie lange diese Krise dauern wird, wissen wir nicht. Sie hängt ja nicht von ökonomischen Faktoren ab, sondern davon, wie sich diese Pandemie weiterentwickelt. Das können wir nicht voraussagen. Tiefgreifend war sie vor allem, weil sie aufgrund von staatlich angeordneten Schließungen entstand – wir sprechen hier von einer Angebotskrise. Und wir sind da nicht alleine. Es gibt eine weltweite Betroffenheit sowie massive Rückkoppelungseffekte aus dem Ausland. Es wird auch im Ausland weniger produziert, deshalb gibt es für unsere Produkte auch keine entsprechende Nachfrage. Das führt zwangsweise zu einer Nachfragekrise – es wird weniger konsumiert, weniger investiert, weniger exportiert.
Gibt es Unterschiede in der Bewältigung der Coronakrise und der Klimakrise?
Theresia Vogel: Ich sehe – anders als die meisten – kaum Gegensätze. Es gibt viel Gemeinsames, denn es existiert bei beiden eine große Bedrohung und auch das Tempo ist in beiden Krisen immens. Immer, wenn eine Krise kommt, gibt es Dinge, von denen wir uns verabschieden müssen; es gibt Neues, dem wir uns erschließen und es geht um Kooperation sowie Zusammenarbeit.
In der aktuellen Krise hat die Wissenschaft ein unglaubliches Gehör und eine Glaubwürdigkeit erlangt, die sie vorher verabsäumt hatte. So viele WissenschaftlerInnen im TV zu sehen und zu hören – das ist etwas Neues. Die Coronakrise ist hoffentlich etwas Kurzfristiges, bei der Klimakrise ist das ein anders. Die Klimakrise ist gekommen, um zu bleiben. Trotzdem wurde sie während COVID fast schon verniedlicht. Fakt ist: in sieben Jahren ist unser Carbon-Budget für das plus 1,5 Grad Celsius-Szenario ausgeschöpft. Was dann, wenn die Wissenschaft nicht zur Beratung gezogen wird? Zeit ist Geld. Wir können beides nicht vergeuden.
Welche Lehren können wir aus der Vergangenheit ziehen?
Martin Kocher: Es ist zwar nicht die erste Krise, die wir durchleben, aber die Spanische Grippe war anders, die Ölkrise war anders und die Finanzkrise vor einem Jahrzehnt stellte eine völlig andere Situation dar. Daher ist es schwierig, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Wir müssen vieles neu am Reißbrett entwerfen.
Wie können wir diese Krise dann weiterdenken oder wie kommen wir aus der Krise wieder heraus?
Martin Kocher: Es hilft generell, in Phasen zu denken: Bis Ende April hatten wir die Akutphase, dabei gab es behördliche Schließungen und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit.
Jetzt sind wir in der Phase des Hochfahrens bis hoffentlich Ende des Jahres, bis wir weitgehend zur „Normalität“ zurückkehren können.
Dann wird es eine Phase der Unsicherheit geben – und diese gilt es möglichst rasch zu reduzieren. Es ist besonders wichtig, dass wir von einem Hilfsprogramm zu einem klassischen Konjunkturprogramm übergehen, um die Wirtschaft nachhaltig anzukurbeln und den Schritt in die Phase der wirtschaftlichen Normalität zu schaffen. Der erste Schritt mit dem Konjunkturprogramm ist gemacht. Die Frage ist, wird es eine „neue“ Normalität geben oder kehren wir zum Altbekannten zurück?
Die Klimakrise ist ein globales Problem. Welchen Beitrag kann Österreich gezielt leisten, um das Schlimmste abzuwenden?
Theresia Vogel: Wir haben eine unglaubliche technologische Kompetenz. Unsere Bio- und Umwelttech-Unternehmen gehören zu den Besten dieser Welt. Wir müssen damit aktiv werden. Mit dem Green-Deal kommen nicht nur neue Jobs, sondern wir müssen auch ehrlich darüber reden, dass viele alte Jobs wegfallen werden. Und da wir schon kompetente Unternehmen haben, müssen wir das Knowhow nutzen und mehr in Richtung Klimaziele investieren – vor allem in die Forschung. Dabei gilt auch, dass wir mit diesen Mitteln in den Erhalt und in die Förderung des Wirtschaftsstandorts Österreich investieren.
Ist die „neue Normalität“ so zu definieren, dass die Umwelt mit eingebunden wird in wirtschaftliche Programme?
Martin Kocher: Wir müssen uns die Frage stellen, ob wir es überhaupt schaffen, diese Konjunkturpakete mit dem Ziel des Klimaschutzes verbinden zu können. Theoretisch und praktisch hätten wir ja schon alle Instrumente, um das Klima zu schützen. Es geht nur um die Anwendung und die Zielsetzung. Aber vorher müssen wir uns entscheiden, ob wir zum status quo ante zurückkehren oder ob wir die Chance nutzen, um Dinge anders zu machen. Das muss offen diskutiert werden. Ich glaube, dass so ein Green-Recovery-Programm zwei Hauptbestandteile haben soll: Erstens geht es um die relativen Preise von Gütern. Güter mit negativen externen Effekten, also umweltschädliches bzw. klimaschädliches Verhalten, müssen teurer werden, und umweltschädliche Förderungen müssen reduziert werden. Und zweitens geht es um die Förderung von Innovationen: Wir brauchen technologischen Fortschritt; nur mit den Preisen allein werden wir die Klimaziele nicht erreichen; außerdem muss bei der Anpassung der relativen Preise auch die Akzeptanz der Betroffenen berücksichtigt werden.
Wie sehen die Herausforderungen aus?
Theresia Vogel: Wir müssen vermeiden, dass wir bei dem bleiben, was einmal war. Wir müssen vielmehr zusehen, dass wir klimafit investieren können. Wir schaffen damit auch einen Wettbewerbsvorteil am globalen Markt.
Was uns die Krise aber wirklich vor Augen geführt hat, ist, was der Staat alles verwirklichen kann. Damit kann der Staat auch in der Klimafrage aktiv werden und Vorreiter sein. Hier muss mehr in die Modernisierung der Infrastruktur investiert werden. Mit 45 Milliarden Euro jährlich ist die öffentliche Hand als Beschaffer tätig – das ist eine unglaubliche Marktmacht, damit könnte man besonderen Einfluss darauf nehmen, dass klimaverträgliche Investitionen getätigt werden.
Welche Schwachstellen hat uns die Krise aufgezeigt?
Theresia Vogel: Vor allem die globalen Produktionsketten sind ein Knackpunkt. Irgendwo ist die Produktion eingebrochen und woanders ist nichts mehr weitergegangen. Wir müssen resilienter werden, dafür braucht es jedoch auch einen bestimmten Handlungsrahmen. Wie agieren wir global und im Austausch mit anderen Ländern? Das ist eine Diskussion für einen sehr langen Zeitraum. Aber es gibt sehr viele Modellregionen, die Risiko übernehmen, um etwas Neues auszuprobieren, zum Beispiel in bestimmten Smart Cities. Die Krise hat uns auch gezeigt, wie wichtig Generationenvertrag und Kooperation sind. Es geht in beide Richtungen, denn die Kosten sind in beide Richtungen sehr groß. Die Älteren sind aktuell durch Corona akut gefährdet, während die jüngeren Generationen viel schlimmer vom Klimawandel in den nächsten Jahrzehnten bedroht sind.