Medienwissenschafter Prof. Matthias Karmasin über den Umbruch des österreichischen Medienmarkts
Die aktuellen Entwicklungen am (österreichischen) Medienmarkt bringen einen tiefgründigen Umbruch, sowohl auf ökonomischer, gesellschaftspolitischer und sozialer Ebene. Im Rahmen unseres Business Breakfast sowie unserer Videoreihe „E&P Am Sofa“ lieferte Univ. Prof. DDr. Matthias Karmasin, einer der führenden österreichischen Medien- und Kommunikationswissenschafter, Einblicke in die heimische Medienlandschaft und präsentierte Zukunftsszenarien für Rezipienten, Gesellschaft, Politik und Werbemarkt.
Die Katy Perry-isierung der Informationsbeschaffung
Print vs. Digital, Qualitätsmedien vs. Boulevard, „klassische Medien“ vs. Social Media, Digital Divide zwischen Ländern und Generationen, Medien als vierte Gewalt: In seinem Vortrag beleuchtet Prof. Karmasin Bedingungen, Konturen und Folgen des Umbruchs in der Medienlandschaft und stellt die beunruhigende Frage zur Informationshoheit in Zeiten von wachsender Social Media-Nutzung, kürzerer Aufmerksamkeitsspanne der Rezipienten und Vertrauensverlust gegenüber klassischen Medien und deren Produzenten, den Journalisten. Sein Fazit: „Es geht letztendlich nicht darum, einer weiteren notleidenden Branche finanziell unter die Arme zu greifen, sondern darum, wie die gesellschaftliche, ökonomische und politische Realität in Zukunft in Österreich aussehen wird bzw. soll.“
Online macht’s wieder gut?
Digitaler Bezahl-Content ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen in der Branche. Das Kalkül vieler Medienmacher, die Print-Verluste durch das Online-Angebot aufzufangen und das Print-Produkt selbst zu pushen, hat sich als schwerer Irrglaube erwiesen. Einerseits sind die Rezipienten nicht gewillt (und „rechtzeitig dazu erzogen worden“), für Online-Mediencontent zu bezahlen, andererseits verwenden auch noch zwei Drittel von ihnen Ad Blocker. Die Konsequenz der Medienhäuser bei den Fixkosten, also dem Personal, und in weiterer Folge damit an der Qualität der Inhalte zu sparen, führt zu massivem Vertrauensverlust auf Seiten der Leser. Die verbleibenden Journalisten gelten immer mehr als „gate watcher“ als „gate keeper“, Rezipienten wenden sich noch mehr ab in Richtung Social Media – „denn hier ist der Content vielleicht auch nicht hundertprozentig verifiziert, allerdings entspricht er meinen eigenen Kriterien, persönlichen Interessen, und dient der sozialen Vernetzung und dem Austausch in der Blase“, so Matthias Karmasin.
Informationen für alle – aber welche?
Wir holen uns also die für uns „relevanten“ Informationen gratis und immer verfügbar aus dem Netz – doch „mehr bedeutet nicht besser“. Anhand des Beispiels der internationalen „Top 10-Twitter Stars“ (unter denen sich lediglich Barack Obama als einziger Politiker auf Platz 5 befindet), bringt Prof. Karmasin die Relevanz des genutzten Contents und die heutige Informationsbeschaffung auf den Punkt: „Der Zeitgeist ist vom Parlament in die Wohnung von Katy Perry gezogen – und wir sehen zu.“ Ein Anstieg an Kommunikation und Vernetzung in den Social-Media-Kanälen führt paradoxerweise zu einem Rückgang an Interesse an allgemeiner Information – und bereitet den Weg zu einer „‘unaufgeklärten Dummheit‘, wo Emotionen anstatt Fakten vorherrschen und die sich quasi täglich in mehr oder weniger relevanten Shitstorms entlädt“.
Auf das richtige Pferd setzen
Durch diese „Fragmentierung der Öffentlichkeit“ und mit dem Wegfall von Qualitätsmedien als relevante und verlässliche Informationsquelle sieht Prof. Karmasin das „bürgerliche aufgeklärte Modell von Gesellschaft“ bedroht – mit allen ökonomischen, sozialen und politischen Auswirkungen. Der wachsende Bedeutungsverlust von Massenmedien hin zu Medien für individuelle, gruppenbezogene Kommunikation führt dazu, dass sich sowohl Konsumentscheidungen als auch politische Entscheidungen verändern. „Die Frage ist, wollen wir das so, nehmen wir es hin und sagen: ist halt der Lauf der Dinge, wie einst die Dampfmaschine die Pferde ersetzt hat oder erkennen wir, dass wir mit den Massenmedien auch die zentrale Errungenschaft der bürgerlichen Gesellschaft verlieren – nämlich Bürgern das Gefühl zu geben, Mitbestimmung bei Gesetzen zu haben, mit denen sie tagtäglich leben müssen.“
Das im Rahmen des Business Breakfast entstandene Video „E&P Am Sofa mit Prof. Matthias Karmasin“ ist in den nächsten Tagen auf unserer Website verfügbar.